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Elisa von der Recke

Tagebuch einer Reise durch ein Theil Deutschlands
und durch Italien in den Jahren 1804 bis 1806

(Diary of a journey through part of Germany
and through Italy in the years 1804 to 1806)

Volume IV, Berlin 1815



Portrait of Elisa von der Recke (1754-1833) by Anton Graff.
Image: Wikimedia.

104-105

Den 23 April [1805]. Ein reicher Kunstgenuss war uns in Canovas Werkstatt bereitet. (...) Hierauf führte uns Canova in das Zimmer wo sich die in Ostia aufgegrabenen Kunstsachen befinden. Mittelmässiges und Vollkommnes; eine Menge von Köpfen, Händen, Füssen, Basreliefen und Trümmern von Bauzierathen sind hier zusammengetragen; es war als träte man auf den Schauplaz wo Krieg und Zerstörung ihre Spuren zurückgelassen; der Künstler machte uns aufmerksam auf die Abweichungen des Geschmacks in den verschiedenen Zeitabschnitten und auf die Erscheinungen in den Vor- und Rückschritten der alten Kunst; er zeigte, dass auch unter den Alten sehr mittelmässige Arbeiter sich befunden und dass manches von ihren auf uns gekommenen Werken kein anderes Verdienst als das der Alterthümlichkeit habe. Das vorzüglichste unter allen diesen ostiensischen Ueberbleibseln ist der Kopf eines jungen Mark Aurels. Eine auffallende Sonderbarkeit stellt ein Bacchuskopf dar, der nicht nur wie es sich wohl geziemt, mit Weinlaub bekränzt, sondern auch mit einem Barte von solchem Laube, welches ihm aus Kinn und Backen spriesst, geschmückt ist. Ein heutiger Künstler, meinte Canova, würde mit einem Einfalle dieser Art in die züchtigenden Hände der Kritik fallen.

Endlich zog noch ein colossaler Minervenkopf meine Betrachtung auf sich; er zeigte im ganzen von einer geübten Künstlerhand, die ihn aber mit schwarzen Augäpfeln und vergoldeten Augenwimpern entstellt hatte, und folglich ein Zeitalter verrieth als sich die Kunst schon zur Künstelei hinüber neigte. Wo die goldne Einfalt verschwindet, da tritt vergoldete Ziererei an ihre Stelle. Ueberhaupt muss ich gestehn dass ich diese ganze Sammlung tief unter meiner Erwartung fand; diese war in mir nämlich durch einen höchst vortrefflichen Venuskopf erregt worden, von dem ich in Wörlitz bei der Fürstin von Dessau eine Nachbildung in Marmor gesehen hatte. Die vollständige wohlerhaltene Bildsäule selbst, für welche der Kopf eine so günstige Vermuthung erzeugte, war durch die von dem Prinzen August von England vor einigen Jahren veranstaltete Nachgrabung in Ostia aufgefunden worden, und dieser hat das Urbild mit sich genommen. Bei unserm Abschiede äusserte Canova, dass der Pabst huldvoll meiner gedacht und sich der letzten Worte, womit er mich entlassen, erinnert habe. Ich beschloss daher dem ehrwürdigen Pius meine wiederholte Huldigung darzubringen.

104-105

April 23rd [1805]. We had a rich artistic enjoyment in Canova's workshop. (...) Canova then led us into the room where the art objects dug up in Ostia are located. Mediocre and perfect; a multitude of heads, hands, feet, bas-reliefs and the remains of architectural ornaments have been brought together here; it was as if one were entering the scene where war and destruction had left their mark; the artist drew our attention to the variations of taste in different periods and to the phenomena in the advances and regressions of ancient art; he showed that even among the ancients there were very mediocre workers and that some of their works that have come down to us have no other merit than that of antiquity. The most excellent of all these Ostian remains is the head of a young Marcus Aurelius. A striking oddity is the head of Bacchus, which is not only, as befits, wreathed with vine leaves, but is also adorned with a beard of such leaves sprouting from his chin and cheeks. A contemporary artist, said Canova, would fall into the chastising hands of criticism with an idea of this kind.

Finally a colossal head of Minerva caught my attention; on the whole it showed the hand of a skilled artist, which had, however, disfigured it with black eyeballs and gilded eyelashes, and consequently betrayed an age when art was already leaning towards artifice. Where golden simplicity disappears, gilded ornamentation takes its place. In general, I have to admit that I found this entire collection far below my expectations; this had been aroused in me by a most excellent head of Venus, of which I had seen a marble replica in Wörlitz with the Princess of Dessau. The complete, well-preserved statue itself, for which the head gave rise to such a favorable assumption, was found during the excavation in Ostia carried out by Prince August of England a few years ago, and he has taken the original with him. As we parted, Canova said that the Pope had remembered me graciously and had remembered the last words with which he dismissed me. I therefore decided to pay my repeated homage to the venerable Pius.



Head of Dionysus. Rome, Vatican Museums, Museo Chiaramonti.
This is probably the head that was shown to Elisa von der Recke.
H. 0.48, h. of the head 0.275. Photo: Mary-Jane Cuyler.

109

Den 25 April [1805]. (...) Mit besonderer Auszeichnung sprach er [der Pabst] von Canova den er täglich sieht und nächst dem von Camuccini. Auch über den scharfsinnigen und kenntnissreichen Zoega äusserte er sich mit Hochachtung und Liebe, wodurch die Unterredung in das Alterthum und zu den Ausgrabungen in Ostia hinübergelenkt wurde, in deren Fortsetzung die feindliche Zeit einen bösen Stillestand gebracht hat. Bei jeder Wendung des Gespräches zeigte der Pabst einen vielseitig gebildeten Geist und treffendes Urtheil; und in den gemüthlichen Nebenideen welche gelegentlich hervortraten, offenbarte sich immer der reine edle Menschensinn, der mein früheres Urtheil von seinem Charakter bekräftigte; und ich nahm auch diesmal von dem ehrwürdigen Pius ein Herz voll Befriedigung mit.

109

April 25th [1805]. (...) He [the Pope] spoke with particular distinction about Canova, whom he sees every day, and next to him about Camuccini. He also spoke with respect and love about the astute and knowledgeable Zoega, which diverted the conversation to antiquity and to the excavations in Ostia, to the continuation of which the hostile time has brought an evil standstill. At every turn of the conversation the Pope showed a well-educated mind and apt judgment; and in the pleasant side ideas that occasionally emerged, the pure, noble sense of humanity was always revealed, which confirmed my earlier judgment of his character; and this time too I took away a heart full of satisfaction from the venerable Pius.

109

Den 1 May [1805]. Bei meinen Beschäftigungen mit der römischen Geschichte war mir der Namen Ostia wichtig geworden; und der Anblick der dort aufgefundenen Alterthümer in Canovas Werkstatt hatte die Merkwürdigkeit dieses Ortes in meinem Gedächtnisse wieder lebhaft erneuert; ich beschloss daher morgen in der Begleitung Zoegas und Reinhards mit meiner Gesellschaft einen Ausflug dahin zu machen, besonders da ich durch die letzte Unterredung mit dem Pabste eine neue Anregung dazu erhalten hatte. Die geschichtliche Vorbereitung zu dieser kleinen Reise erinnerte mich wiederum an den schwachen halb wahnsinnigen abergläubigen und aus Furchtsamkeit grausamen Kaiser Claudius, der Ostia vorzüglich liebte und auf dessen Verherrlichung grosse Summen verwendete. In dem Hafengewässer hatte er sich auf den Grund versenkter Schiffe eine Villa erbauen lassen, in welcher er sich seinen kindisch pedantischen Ergötzungen ungestört überliess. Hier war es vermuthlich wo er den letzten tollen Frevel seiner berüchtigten Messalina erlebte.

109

May 1st [1805]. In my study of Roman history, the name Ostia had become important to me; and the sight of the antiquities found there in Canova's workshop had vividly renewed the strangeness of the place in my memory; I therefore decided to make a trip there with my company tomorrow, accompanied by Zoega and Reinhard, especially since I had received new inspiration from the last conversation with the Pope. The historical preparation for this little journey reminded me again of the weak, half-crazy, superstitious and fearfully cruel Emperor Claudius, who loved Ostia very much and spent large sums on its glorification. He had a villa built on the bottom of sunken ships in the harbor waters, in which he indulged in his childish, pedantic pleasures undisturbed. This was probably where he experienced the last great outrage of his infamous Messalina.

109-130

Den 3 Mai [1805]. Man kann in Rom mit ziemlicher Sicherheit auf die Witterung rechnen, wenn man einen Ausflug selbst auf mehrere folgende Tage, vorausbestimmt: und so begünstigte denn auch gestern ein schöner etwas kühler Maytag unsre Reise nach Ostia. Dieser Ort liegt am Ausflusse der Tiber, achtzehen Miglien von Rom. Unser Weg ging aus dem Paulsthore neben dem Scherbenberge der Piramide des Cestius und der Paulskirche hin, über Ponte Salaro sonst pons Nomentanus genannt. Wir zogen in dieser Richtung dem Meere zu durch eine wüste, ruinenvolle Ebene, wo, so weit das Auge reicht, Verlassenheit und Verwilderung herrschen. Kaum ist die Spur eines vorhandenen menschlichen Daseyns hier wahrzunehmen. Versumpfungen ehemals fruchtbarer Aecker vergiften mit ihren Ausdünstungen die Luft. Schon die Alten sollen der ungesunden Beschaffenheit dieser Gegend erwähnen, jene kann aber, bei der vormaligen grossen Bevölkerung dieser, weder den Grad der Schädlichkeit, noch die gegenwärtige Allgemeinheit erreicht gehabt haben: und dennnoch ist hier die Luft so klar, dass sich die fernsten Gegenstände in den schärfsten Umrissen darstellen.

Hin und wieder fährt man noch auf den breiten Steinen der alten römischen Strasse, die auf beiden Seiten mit Palästen, Landhäusern, Gärten und prunkreichen Mausoleen eingefasst war: so dass vormals der ganze Weg von Rom nach Ostia eine ununterbrochene Fortsetzung der Hauptstadt scheinen musste. Die blühende Ebene durchkreuzten und verschönerten kostbare Wasserleitungen, deren Trümmer jetzt zerstreut umherliegen. Ein einziges unzerstörtes Denkmal der alten Zeit ist noch vorhanden: es ist der vorbenannte pons Nomentanus, eine aus grossen Quadern erbaute Brücke, die sich über den Anio dem heutigen Teverone wölbt. Dieses Werk trägt ganz den Charakter des alten Volkes: Kraft und Unerschütterlichkeit. Auf der Brücke steht eine kleine Hütte, die dem Zollwärter zum Nachtlager dient, um auch zur Nachtzeit, wo die Brücke gesperrt ist, den Uebergangszoll einzunehmen. Dieser Mann besisst nicht fern von hier ein Wirthshaus und bezieht in den Sommermonaten mit seiner ganzen Familie diese Hütte, um sich und die Seinen der bösen Luft zu entziehn, welche in der Nähe eines lebendigen Wassers ihre Schädlichkeit verliert.

Durch eine Wendung der Landstrasse naheten wir uns wieder dem, zwischen lebhaft grünen Sumpffluren sich hinabwindenden Tiberflusse: er ist das einzige freundliche Bild welches in dieser Einöde einen erquickenden Anblick gewährt. Aber weder die angenehmen Krümmungen dieser schleichenden Flut, noch das hohe Wiesengrün, noch der heitere Himmel, vermögen den düstern Eindruck zu mildern, den die Ausgestorbenheit der ganzen Gegend auf die Empfindung desjenigen macht, der sie nicht ganz gedankenlos durchwandert. Nach dem ersten Drittheil des Weges gelangten wir zu einem elenden Wirthshause; und wie armselig dies auch erscheint, so ist es doch erfreulich, die frischen Spuren eines menschlichen Daseyns anzutreffen, obgleich auch dieses neben dem Tode wohnt, in den Trümmern eines alten Grabes. Näher nach Ostia hin, bringen ein paar kleine Seen einige Abwechselung in das traurige Einerlei. Der grössere dieser kleinen Seen, Stagno d'Ostia, soll fischreich seyn; dagegen ist der kleinere, der den bezeichnenden Namen: Fiume morto trägt, ein Aufenthalt von Fröschen und giftigen Insekten.

Wir erreichten endlich Ostia selbst. Dieser kleine Ort, der mit dem Namen des alten prangt, ist so unbedeutend, dass er mit dem ersten Blicke übersehn werden kann. Die alte Hafenstadt lag, wie ihre Trümmer nachweisen, eine halbe Miglie von dem neueren Anbau in jener Gegend, wo die Tiber sich in zwei Arme spaltet, welche eine, vormals dem Apollo geheiligte Insel, umfassen. Schon Ankus Martius legte den Grund zu dieser Stadt und brachte daselbst die Salinen in Gang, wo das, aus verdünstetem Seewasser gewonnene Salz gesammelt wurde. Im Verhältniss zu der immer weiteren Ausdehnung des römischen Staates hob auch dieser Ort sich nach und nach zu einer gewissen Wichtigkeit empor. Der Hafen wurde der Lagerplatz der römischen Flotte; doch geschah die Ausrüstung kriegerischer Schiffe, während der Republik, nur bei Gelegenheit eines ausbrechenden Seekrieges. In der letzten Hälfte des siebenten Jahrhunderts von Roms Entstehung machte sich die Piratenrepublik in Cilicien im ganzen mittelländischen Meere furchtbar, und wagte endlich sogar die in der Tiber liegenden römischen Schiffe zu verbrennen: daher Pompejus im Jahre Roms 687 zur Bestrafung einer solchen Frechheit auf drei Jahre die unbeschränkteste Befehlshaberschaft über das ganze Seewesen der Römer erhielt, so dass er aus dem öffentlichen Schatz Schiffe bauen und ausrüsten lassen konnte, so viel er deren bedurfte.

Er betrieb dies Geschäft mit ausserordentlicher Thätigkeit und überfiel die Piraten mit einer solchen Schnelle und Rastlosigkeit, dass sie überall geschlagen wurden; und neun und vierzig Tage, nach dem Auslaufen der römischen Flotte wagte kein Seeräuberschiff mehr, sich auf dem Meere blicken zu lassen. Jedoch wurde bald nachher das Kriegswesen zur See von den Römern wieder vernachlässiget, bis Augustus bei Pelorum und Actium gelernt hatte dass, das Schicksal des festen Landes auch auf dem Meere entschieden werden könne: und nun lagen fortan auf beiden Seiten Italiens, besonders zu Misenum und Ravenna, Flotten in Bereitschaft. Das Vorhaben Cäsars, auch in Ostia einen Hafen anzulegen, führte Claudius, sein dritter Nachfolger, aus. Dieser liess zu dem Zweck an der Tibermündung ein grosses Wasserbehältniss ausgraben, vor welchem zwei mit dem Ufer parallel laufende Seedämme aufgeführt wurden, um die andringende Wuth der Meereswellen sich daran brechen zu lassen. In der, zwischen den beiden Dämmen durchströmenden, Flut wurde ein Leuchtthurm errichtet, zu dessen Grundlage das ungeheure Schiff dienen musste, worauf Caligula den Vatikanischen Obelisk aus Egipten nach Rom hatte bringen lassen. Späterhin erweiterte Trajan diesen Hafen, an dessen Vervollkommung schon immer gearbeitet worden, durch ein zweites ausgegrabenes Wasserbehältniss und verschönerte solches mit einem Portikus, der es mit prächtigen Hallen umgab. Alles ward aufgeboten, was zur Verherrlichung der Stadt und der Gegend dienen konnte.

Der Unbedeutsamkeit des neuen Ostia habe ich schon erwähnt. Die Hauptzierde des Ortes ist ein Castell, mit zwei runden Thürmen aus dem sechszehnten Jahrhundert. Die Thürme verrathen eine solche Vortrefflichkeit in Anlage und Ausführung, dass einige den Michel Angelo für den Baumeister derselben halten. Diess feste Schloss dient jetzt nur dazu, Gefangene aufzubewahren. Der bischöfliche Sitz daselbst ist ein weitläufiges schönes Gebäude, mit einer hübschen Kirche; aber sichtbar sind die Spuren der Verfallenheit auch an diesem Pallaste, den der arciprete (Erzpriester) mit seinem Gehülfen bewohnt. Nächst diesen zwei merkwürdigen Gebäuden, ist noch die St. Sebastianskirche zu nennen, welche zugleich zum Begräbnissorte der Einwohner dient. Die ganze Bevölkerung des neuen Ostia besteht in sieben Familien; jedoch auch diese ziehen, der bösen Luft wegen, im Sommer fort, und kehren nur zur Bearbeitung der wenigen Felder auf einige Tage zurück. Die Bleibenden sind dahin verbannte Verbrecher und Flüchtlinge. Der arciprete mit seinem Gehülfen verweilet hier vom November bis zum Juny; der letztere ist verpflichtet, in den Sommermonaten wöchentlich zweimal zum Messelesen für die wenigen Zurückbleibenden dahin zu wandern. Dem Erzpriester ist ein Gehalt von zehen Scudi monatlich angewiesen.

Eine kleine Bibliothek die ausschliesslich Heiligenlegenden enthält, gewährt ihm seine einzige Geistesnahrung; sein übriger Reichthum besteht in einer Jagdflinte, einer Violine, einem Schreibtisch, einem Esstisch, einem Bette und etlichen schlechten Stühlen welches alles mit der, auf Ueberfluss berechneten, Grösse des öden Pallastes übel zusammenstimmt. Indessen hatte die Menschennatur diesen Mann besser ausgestattet, als das Glück. Sein gutes offnes Gesicht kündigte inneren Frieden, Heiterkeit des Geistes und eine gesunde Lebensweisheit an: lauter Erwerbungen, die er nicht aus seiner Bibliothek geschöpft haben konnte. Bei dem sichtbaren Hange zur geselligen Fröhlichkeit erträgt er dennoch diese schauderhafte Einsamkeit mit Frohsinn. Jeder Besuch eines Fremden, sagte er, werfe einen hellen Punkt in sein verlassnes Daseyn, der ihm noch lange nachleuchte, und einige werthe Bekanntschaften begleiten ihn mit freundlichen Erinnerungen durch das Leben. In der grossen Welt, setzte er hinzu, verdränge ein Eindruck den andern; da liebe man die Menschen nicht so innig, als in solcher gezwungenen Abgeschiedenheit, wo man durch fremde Leidenschaften weniger gedrückt und durch die eigenen seltener verführt werde. Mit Wohlwollen und Herzlichkeit gab er sein Tischgeräthe und selbst einen eben gefangenen Fisch zur Bereitung unsers Mittagsmahles her (Wir nahmen zu unserm Ausfluge nach Ostia unsere Bedürfnisse mit; denn selbst das Brod für die wenigen Einwohner muss aus Rom herbeigeführt Werden). Wir waren recht vergnügt, und die Gesellschaft unsers guten Erzpriesters erheiterte unser frugales Mahl noch mehr.

Unter dem kleinen Völkchen in Ostia überzeugte ich mich neuerdings von dem nicht schlechten Grundcharakter der Italiener. Wir wurden von den Einwohnern umringt; sie folgten uns bis in das Schloss, aber nicht Bettler-Zudringlichkeit, sondern freundliche, gutmüthige, sogar dienstfertige Neugier hatte sie herbeigelockt. Männer, Frauen und Kinder wetteiferten, uns kleine Gefälligkeiten zu erweisen. Auf allen Gesichtern drückte sich Gutmüthigkeit, aber auch der Einfluss der ungesunden Gegend aus. Nur Ein schöner, kräftiger Mann von blühender Gesichtsfarbe ging unter diesen mehr und minder bleichen Gestalten, wie ein Herkules, umher. Dieser schwarzköpfige Mann, mit schönen feurigen Augen, einer römischen Nase und krausem schwarzem Barte, war die freundliche Behendigkeit selbst, um uns allerlei Dienste zu leisten. Ihm ist das Kastellanamt in dem bischöflichen Pallaste übertragen; sein ganzes Wesen erschien so fröhlich und wohlgemuth, als ob das reinste Gewissen ihn beseelte; und doch hatte er, wie ich nachher erfuhr, vor nicht langer Zeit eine Mordthat begangen, welche die Veranlassung war, dass er sich unter dem Schutz des Kardinals Albani, der gegenwärtig Bischof von Ostia ist, hieher flüchtete. Reinhard fand den Ausdruck dieses kräftigen Gesichtes so anziehend, dass er eine sehr wohlgetroffene Profilzeichnung schnell davon entwarf, die ich meinen Bemerkungen beifüge. Beim Abschiede reichte dieser Mann mir auf die verbindlichste Weise einen Blumenstraus dar, und weigerte sich standhaft, ein Gegengeschenk dafür anzunehmen. Dann führte er mir noch seine hübsche, sauber gekleidete Frau, von fünf schönen, gesunden Kindern begleitet, an den Wagen und sagte: "Mit solchen Schätzen lebt es sich auch in der Wüste zufrieden".

109-130

May 3rd [1805]. In Rome you can count on the weather with considerable certainty even if you plan an excursion for several days ahead: and so yesterday a nice, somewhat cool May day favored our trip to Ostia. This place lies at the mouth of the Tiber, eighteen miles from Rome. Our path led from the Gate of Paul next to the pile of shards of the Piramid of Cestius and the Church of Paul, via Ponte Salaro otherwise called pons Nomentanus. We moved in this direction towards the sea through a deserted, ruined plain, where, as far as the eye could see, desertion and desolation reigned. There is hardly any trace of an existing human existence here. Swamps in formerly fertile fields poison the air with their fumes. Even the ancients are said to have mentioned the unhealthy nature of this area, but given the formerly large population, this could not have reached the level of harmfulness nor the current generality: and yet the air here is so clear that the most distant objects present themselves in the sharpest outlines.

Every now and then you still drive on the wide stones of the old Roman road, which was bordered on both sides with palaces, country houses, gardens and magnificent mausoleums: so that previously the entire route from Rome to Ostia must have seemed an uninterrupted continuation of the capital. The flowering plain was criss-crossed and embellished by precious water conduits, the ruins of which now lie scattered about. There is only one undestroyed monument from the old days left: it is the aforementioned pons Nomentanus, a bridge made of large blocks that arches over the Anio to today's Teverone. This work has entirely the character of the ancient people: strength and steadfastness. There is a small hut on the bridge that serves as a place for the customs officer to camp for the night so that he can collect the transit customs even at night when the bridge is closed. This man owns an inn not far from here and moves into this hut with his entire family in the summer months in order to withdraw himself and his family from the evil air, which loses its harmfulness near living water.

By taking a turn on the road we again approached the Tiber river, which winds its way down between lively green swamps: it is the only friendly image that offers a refreshing sight in this desert. But neither the pleasant curves of this creeping body of water, nor the high green of the meadows, nor the clear sky, can soften the gloomy impression which the extinction of the whole region makes on the feelings of anyone who does not wander through it completely thoughtlessly. After the first third of the way we came to a miserable inn; and however poor this may seem, it is still gratifying to encounter the fresh traces of a human existence, even though this too lives alongside death, in the rubble of an ancient grave. Closer to Ostia, a few small lakes add some variety to the sad monotony. The larger of these small lakes, Stagno d'Ostia, is said to be rich in fish; on the other hand, the smaller one, which has the significant name: Fiume morto, is a residence of frogs and poisonous insects.

We finally reached Ostia itself. This small place, emblazoned with the name of the old one, is so insignificant that it can be overlooked at first glance. The old port city, as its ruins show, was half a mile from the newer extension in the area where the Tiber splits into two arms, which encompass an island previously sacred to Apollo. Ankus Martius already laid the foundation for this city and started the salt pans there, where the salt obtained from evaporated lake water was collected. In relation to the ever-increasing expansion of the Roman state, this place also gradually rose to a certain importance. The harbor became the storage place for the Roman fleet; However, during the Republic, warships were only equipped when a naval war broke out. In the last half of the seventh century of Rome's emergence, the pirate republic in Cilicia made itself fearsome throughout the Mediterranean, and finally even dared to burn the Roman ships lying in the Tiber: for that reason Pompeius received for three years in year 687 of Rome the most unlimited command over the entire Roman marine presence to punish such an impudence, so that he could use the public treasure to have ships built and equipped, as many as he needed.

He carried on this business with extraordinary activity, and attacked the pirates with such rapidity and restlessness that they were defeated everywhere; and fourty nine days after the Roman fleet had sailed, no pirate ship dared to appear on the sea. However, soon afterwards the Romans neglected naval warfare again until Augustus had learned at Pelorum and Actium that the fate of the mainland could also be decided at sea: and now hereafter on both sides of Italy fleets were lying on standby, especially at Misenum and Ravenna. Caesar's plan to build a port also in Ostia was carried out by Claudius, his third successor. For this purpose, he had a large water expanse dug out at the mouth of the Tiber, in front of which two sea dams running parallel to the shore were built in order to allow the oncoming fury of the sea waves to be broken against them. In the body of water that flowed between the two dams, a lighthouse was built, the basis of which was the enormous ship on which Caligula had the Vatican obelisk brought from Egypt to Rome. Later Trajan expanded this harbor, which had always been perfected, with a second excavated water expanse and embellished it with a portico that surrounded it with magnificent halls. Everything was deployed that could serve to glorify the city and the region.

I have already mentioned the insignificance of the new Ostia. The main decoration of the place is a castle with two round towers from the sixteenth century. The towers display such excellence in design and execution that some consider Michel Angelo to be their architect. This strong castle is now only used to keep prisoners. The episcopal seat there is a spacious, beautiful building, with a pretty church; But the traces of dilapidation are also visible on this palace, where the arciprete (archpriest) lives with his assistant. Next to these two remarkable buildings the Church of Saint Sebastian may be mentioned, which also serves as the burial place of the residents. The entire population of the new Ostia consists of seven families; However, because of the bad air, these also leave in the summer and only return for a few days to work the few fields. Those who remain are exiled criminals and refugees. The arciprete and his assistant stay here from November to June; the latter is obliged to go there twice a week in the summer months to say mass for the few who remain behind. The archpriest is paid a salary of ten scudi per month.

A small library that exclusively contains legends of saints provides him with his only intellectual nourishment; his remaining wealth consists of a hunting rifle, a violin, a desk, a dining table, a bed and a number of poor chairs, all of which are in poor harmony with the size of the desolate palace, which is designed for abundance. However, human nature had endowed this man better than luck. His good, open face showed inner peace, serenity of spirit and a healthy wisdom of life: all acquisitions that he could not have drawn from his library. Despite his obvious tendency to sociable cheerfulness, he nevertheless endures this terrible loneliness with cheerfulness. Every visit from a stranger, he said, throws a bright spot into his deserted existence that stays with him for a long time, and some worthy acquaintances accompany him through life with friendly memories. In the big world, he added, one impression suppresses the other; there you don't love people as deeply as in such forced seclusion, where you are less oppressed by other people's passions and less often seduced by your own. With benevolence and warmth, he gave his table utensils and even a fish he had just caught to prepare our lunch (we took our needs with us on our trip to Ostia; for even the bread for the few residents has to be brought from Rome). We were quite merry, and the company of our good archpriest made our frugal meal even more amusing.

Among the small population in Ostia, I recently became convinced that the basic character of the Italians was not bad. We were surrounded by the locals; they followed us into the castle, but it was not beggarly importunity that had drawn them here, but friendly, good-natured, even helpful curiosity. Men, women and children competed to do us small favors. Good-naturedness, but also the influence of the unhealthy area, was expressed on all faces. Only one handsome, strong man with a blooming complexion walked among these more and less pale figures, like a Hercules. This black-headed man, with beautiful fiery eyes, a Roman nose and a curly black beard, was the friendly agility himself to render us all sorts of services. The office of castellan in the episcopal palace has been entrusted to him; his whole being seemed so cheerful and good-natured, as if the purest conscience animated him; and yet, as I later learned, he had not long ago committed a murderous act which caused him to take refuge here under the protection of Cardinal Albani, who is currently Bishop of Ostia. Reinhard found the expression of this strong face so attractive that he quickly drew a very well-done profile drawing of it, which I am attaching to my comments. As I was leaving, this man presented me with a bouquet of flowers in the most polite manner and steadfastly refused to accept anything in return. Then he led his pretty, cleanly dressed wife, accompanied by five beautiful, healthy children, to the carriage and said: "With treasures like these you can live happily even in the desert".

Der noch nicht lange Aufenthalt dieser Familie hieselbst hatte den mitgebrachten Vorrath an Gesundheit noch nicht sichtbar angegriffen. Uebrigens besteht die hiesige Einwohnerschaft mehrentheils aus Verbrechern, welche die Strafe des Gesetzes, oder die Furcht davor hieher trieb. Auch mögen die wenigen, durch irgend ein kleines Eigenthum hier ansässigen, Familien Nachkommen verbrecherischer Väter seyn.

Die Regierung, indem sie Ostia zu einem Straforte und zu einer Freistätte für Uebelthäter bestimmte, hatte die Absicht: den Betrieb des Salzerzeugnisses durch den mindesten Kostenaufwand zu erhalten und hiernächst, durch Begünstigung neuer Anbaue der Verbannten und Flüchtlinge die verlassene Gegend wieder zu bevölkern. Der Erfolg entsprach in keinem Betracht dieser doppelten Absicht; aber er erzeugte eine merkwürdige moralische Erscheinung. Die auf solche Weise hieher verbannte Missethäterkolonie, um deren inneres Leben die Regierung sich nicht bekümmerte, errichtete aus eigenem Antriebe unter sich eine gewisse ordnungsmässige Verfassung, in welcher nicht nur die Bestimmungen der Obliegenheiten, sondern auch die gradmässigen Strafen für die Uebertretungsfälle festgesetzt waren. Auch hatten sie alle, über sie ausgesprochenen obrigkeitlichen Verfügungen mit in ihre eigenen Verordnungen aufgenommen. Nur der Bischof konnte, der obrigkeitlichen Bestimmung gemäss, einem Verbannten die Erlaubniss ertheilen, auf 24 Stunden nach Rom zu gehen; diese Erlaubniss, musste der Beurlaubte, dem selbstgewählten Vorsteher der Kolonie anzeigen; und der, den römischen Sbirren etwa entwischte, Missbrauch einer solchen Erlaubniss wurde sodann in der Kolonie mit einer festgesetzten Anzahl von Stockschlägen bestraft, einer Ahndung, welcher sich der Uebertreter ohne Widerrede unterwarf. Auf solche Weise bestraften sie auch Betrügereyen oder Diebereyen, die in der Kolonie vorfielen; persönliche Beleidigungen aber wurden durch Zweikampf geschlichtet. In der Strenge ihrer selbstrichterlichen Entscheidungen gingen sie so weit, dass sie sogar Todesurtheile gefällt und vollzogen haben sollen. Wie fest diese Republik auf Ordnung und Recht unter sich hielt, davon wurden mir mehrere Beispiele erzählt. So tief ist das Gefühl oder das Gesetz für Zucht und Recht in das menschliche Gemüth eingedrückt, dass es selbst an den entschiedensten Missethätern sich nicht ganz unbezeugt lässt.

Seit sechzehen Jahren besteht jene Einrichtung des Salzwerkbetriebes nicht mehr, weil der Ertrag den Kostenaufwand, der gehoften Ersparniss ohnerachtet, nicht abwarf. Mit der Aufhebung dieser Anstalt löste sich auch die sonderbare Verbrecherrepublik von selbst auf; denn das Asylrecht des Ortes war nun förmlich zurückgenommen worden. Indessen wird es mit der Verfolgung der, nach Ostia sich flüchtenden, Mörder, wenn der Mord nicht mit Strassenraub verknüpft ist, so genau nicht gehalten, wie das Beispiel des oberwähnten Kastellans beweiset.

Einiges Salz wird jetzt noch in Ostia gewonnen, obgleich die Regierung die unmittelbare Theilnahme an dem Betriebe aufgegeben hat. Das Gebäude der ehemaligen Siederei steht verödet und verlassen auf dem halben Wege nach Alt Ostia.

Unsere Rückreise machten wir über die ruinenvolle Ebene dieser alten berühmten Hafenstadt. Wenn das Auge die weite Einöde überschaut, so scheint es, als ob in diesem Raume eine grosse Stadt plötzlich nieder geschmettert, und auf die ordnungslos zusammengestürzten Trümmer ein grüner Teppich hingeworfen sey, der die untenliegende Verwirrung wahrnehmen lässt. Auf und absteigend setzten wir unsre mühsame Wanderung fort. Ein empfindlich scharfer Wind strich über die hügligte Grabstätte der versunkenen Herrlichkeit. Wir gingen an Trümmern vorbei, die keine Spur vormaliger Bestimmung mehr darboten; nur bezeichnen sie den Umfang der verschwundenen Stadt. Hin und wieder ragen ein paar Pinien empor, wie einsame Trauergestalten auf dem Grabe gefallener Grösse. Zu einer Ruine kamen wir, die ein altes Götterheiligthum andeutet, und die man für Reste eines Neptunustempels hält. Granit und Marmorbruchstücke von Säulen liegen an diesem Gemäuer umher zerstreut, worunter sich trefflich gearbeitete Kapitäle befinden, auch andre Marmorreste, die mit den Basreliefs geziert sind.

Der an diese Ruine angrenzende, flache Raum, lässt durch seine längliche Ausdehnung ein hier gewesenes Forum vermuthen. Vor dem sogenannten Neptunustempel ging ehemals zur Tiber hinab eine breite Strasse von welcher ein kleiner Theil aufgedeckt ist: da sieht man nun zu beiden Seiten zwölf bis funfzehn Fuss hohe Mauern alter Gebäude, welche letztere noch gänzlich verschüttet sind.

Aus den vorhandenen Anzeigen lässt sich auf den hohen Wohlstand und auf die ungemeine Bedeutsamkeit dieser alten Hafenstadt schliessen; denn hier wurde ja der Raub ausgeladen, den die Römer aus entfernten Welttheilen zusammen schleppten; hier wurden zur weitern Verführung die Waaren niedergelegt, welche das Bedürfniss foderte und Ueppigkeit und Prachtsucht begehrten; hier an der vormals so anmuthigen Küste hinab und hinauf dehnten sich Villen und Prachtgärten aus. Grosse Reichthümer mögen unter dieser grünen Decke noch ruhen! Welch ein Bild des alten römischen Lebens würde sich unserm Blicke darstellen, wenn ein, mit Nachdruck und Beharrlichkeit durchgeführtes, Unternehmen eine so ansehnliche Hafenstadt, wie Ostia, wogegen Pompeji nur wenig bedeutete, aus dem Grabe auferstehen liesse, so dass man durch die breiten Strassen, zwischen den zierlichen Häusern, wandeln könnte, über deren Dächer wir jetzt hinschreiten.

Einige glückliche Ausgrabungen sind durch die Veranstaltung der gegenwärtigen Regierung erfolgt, deren ich bereits oben erwähnt habe. Die Entdeckungen würden ergiebiger gewesen seyn, wenn man nicht immer mit dem Auswurf der neuen Grube die ältere überschüttet hätte; die schnelle Berasung macht den durchsuchten Raum bald unkenntlich. Durch ein solches Verfahren ist es geschehen, dass spätere Bemühungen auf Punkte trafen, wo die Schätze bereits gehoben waren.

Etwa zwei Miglien von Ostia liegt schattenreich und freundlich das Kastell Fusano, welches dem Prinzen Chigi gehört. Mit dem herrlichsten Pinienwalde prangend, scheint es ein zurückgelassenes Ueberbleibsel des verschwundenen Paradieses zu seyn; aber auch unter diesen einladenden Pinienschirmen hauset in den Sommermonaten menschenfeindliche Luft, wie ein böser Geist des Fluches, der auf diesem, durch Missethaten so vielfach befleckten Boden, lastet. In dieser Gegend lag das Laurentinum des jüngeren Plinius, von welchem er eine so reizende Beschreibung macht. "Du wunderst Dich" schreibt er an seinen Freund Gallus, "dass mein Laurentinum mir so ausserordentlich gefällt. Du wirst Dich aber nicht mehr wundern, wenn ich Dich mit der reizenden Anmuth dieses Landhauses, mit dessen vortheilhaften Lage, und mit dem weiten Umfange des Seeufers werde bekannt gemacht haben. Auf beiden Seiten des Weges dahin hat man eine mannigfaltige Aussicht; bald wird der Weg durch Waldung verengt, bald auf weite Wiesen geöffnet und ausgebreitet. Hier sieht man Heerden Schaafe, Pferde und Ochsen, die durch den Winter von den Bergen vertrieben und durch frische Weide und Frühlingswärme fett und glatt werden. - Der Aufenthalt im Winter ist hier sehr angenehm, aber noch weit mehr um Sommer." u.s.w. Also herrschte zu damaliger Zeit keine böse Sommerluft in dieser Gegend, wie heutiges Tages.

Eine Miglie von Fusano findet sich allerlei zerfallnes Gemäuer, welches man für die Trümmer jenes Landhauses hält; aber wer erräth in diesen unförmlichen Ruinen die ehemalige Lieblichkeit eines freundlichen Ruhesitzes für einen Weisen? und doch haftet an diesen rauhen Trümmern das sanfte Gedächtniss des Edlen, der in der Trajanischen Christenverfolgung sich durch Klugheit und Milde hervorthat.

Woher kam über das blühende Leben, das hier waltete, eine so furchtbare, so vertilgende Zerstörung? Der Eindrang der Gothen im sechsten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung vernichtete die kostbaren Wasserleitungen; neue Verwüstungen fügten im neunten Jahrhundert die Vandalen hinzu; sie setzten sich in Ostia fest und streiften bis an die Thore Roms, wurden aber bald genöthigt, wieder abzuziehn. Dann hat, was die Barbaren übrig liessen, im Laufe von zwölfhundert Jahren die Tiber mit ihrem Schlamme bedeckt. Dieser Schlammansatz ist so weit in das Meer vorgerückt, dass der alte Hafen drei Miglien weiter landeinwärts lag, als der heutige, der nicht viel bedeutet.

Ist dieses der Raum, fragt der Geschichtskundige, wo die Denkmale des Ueberflusses, die Schauplätze der lüsternen, sinnlichen Ueberfeinerung und Schwelgerei prangten? Herabgestürzt in die tiefste Verlassenheit sind nun alle jene, mit den Triumphen der Kunst geschmückten, Werke des Reichthums und der Macht! Ein schweres Gericht ist über die unersättlichen Weltverwüster gekommen, die keinem Volke den Genuss seines ruhigen Daseyns erlaubten; das vergeltende Schicksal hat zermalmend sie ergriffen, ein Schicksal, welches die glücklichsten Ungerechtigkeiten, die gelungensten Verbrechen nur bis zu einem gewissen Punkte der Vollendung gedeihen lässt: und nun weicht von diesem Boden nicht mehr der über das grösste Frevelvolk ausgesprochene Fluch!

Büffelheerden lagern sich jetzt in den sumpfigen Vertiefungen, wo sonst in blumigen Thälern die Lusthayne der römischen Grossen säuselten. Kein menschliches Wesen vermag mehr auf längere Zeit ungestraft in dem Raume zu athmen, wo einst die Stimme der wildesten Lust und des lautesten, frechsten Uebermuthes erscholl. Kaum erkennet der Dichterfreund, die Aeneide in der Hand, an den unvergänglichen Merkmalen der umgebenden Natur jetzt noch die Stellen, über welche Virgil seine trojanischen Flüchtlinge wandeln lässt. Fragend steht der Fremdling da; aber stumm und öde streckt sich vor ihm hinab die unabsehbare Wüsteney. Hieher sollte die warnende Nemesis einen heutigen Eroberer führen, auf dass er erkennen lerne die unsichtbare Hand, welche den höchsten Glücksstand so tief herabzustürzen vermag.

The family's recent stay here had not yet visibly affected the supply of health they had brought with them. Incidentally, most of the local population consists of criminals who were driven here by the punishment of the law or by fear of it. The few families who live here because of some small property may also be descendants of criminal fathers.

The government, in designating Ostia as a place of punishment and a place of refuge for evildoers, had the intention of maintaining the salt production industry at the lowest cost and after that of repopulating the deserted area by encouraging additional buildings of exiles and refugees. The success did not correspond in any respect to this double intention; but it produced a strange moral phenomenon. The colony of transgressors banished here in this way, whose inner life the government did not care about, established a certain orderly constitution among itself on its own initiative, in which not only the provisions of the duties but also the appropriate punishments for cases of transgression were laid down. They had also incorporated all the official orders issued about them into their own regulations. According to official regulations, only the bishop could grant an exile permission to go to Rome for 24 hours; the person on leave had to report this permission to the self-elected head of the colony; and the misuse of such a permit, in case it escaped the attention of the Roman police officers, was then punished in the colony with a fixed number of strokes of the cane, a punishment to which the violator submitted without objection. In this way they also punished frauds or thefts that occurred in the colony; personal insults, however, were settled through a duel. The severity of their self-judgmental decisions went so far that they were even said to have passed and carried out death sentences. I was told several examples of how firmly this republic adhered to order and law. The feeling or the law of discipline and justice is so deeply impressed into the human mind that it does not leave entirely unaffected even the most determined wrongdoers.

The saltworks facility has not existed for sixteen years because the income did not cover the costs, without taking into account the savings that had been made. With the abolition of this institution, the strange criminal republic also dissolved itself; because the place's right to asylum had now been formally withdrawn. However, the prosecution of the murderers who fled to Ostia, unless the murder is linked to street robbery, is not strictly carried out, as the example of the above-mentioned castellan proves.

Some salt is now still produced in Ostia, although the government has given up direct participation in the operation. The building of the former boiling house stands deserted and abandoned halfway to Old Ostia.

We made our return journey across the ruined plains of this old, famous port city. When the eye looks out over the vast desolation, it seems as if a large city had suddenly been shattered in this space, and a green carpet had been thrown over the disorderly collapsed rubble, allowing one to perceive the confusion below. We continued our arduous hike up and down. A sharp wind blew across the hilly tomb of lost glory. We walked past rubble that no longer showed any trace of its former purpose; they only indicate the extent of the vanished city. Every now and then a few pine trees rise up, like lonely mourning figures on the grave of fallen greatness. We came to a ruin that indicates an old sanctuary of the gods and is believed to be the remains of a temple of Neptunus. Granite and marble fragments of columns lie scattered around these walls, including excellently crafted capitals, as well as other marble remains decorated with bas-reliefs.

The flat space adjacent to this ruin, due to its elongated dimensions, suggests that a forum once existed here. In front of the so-called Temple of Neptunus, a wide street used to run down to the Tiber, a small part of which has been uncovered: one can now see twelve to fifteen foot high walls of old buildings on both sides, the latter still completely buried.

From the existing clues the high level of prosperity and the immense importance of this old port city is apparent; because this is where the loot that the Romans brought from distant parts of the world was unloaded; here the goods were laid down for further seduction, which the need demanded and lavishness and splendor desired; here villas and magnificent gardens stretched up and down the previously charming coast. Great riches may still rest under this green blanket! What a picture of ancient Roman life would appear before our eyes if an undertaking carried out with vigor and perseverance allowed such an impressive port city as Ostia, compared to which Pompeii was of little importance, to rise from the grave, so that one could walk through the wide streets, between the delicate houses, over the roofs of which we are now walking.

Some fortunate excavations have taken place organized by the present government, which I have already mentioned above. The discoveries would have been more rewarding if the excavated earth from the new pit had not always covered the older one; The rapid speed quickly makes the searched room unrecognizable. Through such a procedure it happened that later efforts found places where the treasures had already been uncovered.

About two miles from Ostia lies the shady and friendly Fusano Castle, which belongs to Prince Chigi. Emblazoned with the most magnificent pine forest, it seems to be a left-behind remnant of the vanished paradise; but even under these inviting pine umbrellas, in the summer months, air dwells that is hostile to people, like an evil spirit of the curse that weighs on this ground, which has been so often polluted by misdeeds. In this region lay the Laurentinum of the younger Pliny, of which he provides such a charming description. "You are surprised," he writes to his friend Gallus, "that I like my Laurentinum so much. But you will no longer be surprised when I will have made you familiar with the charming elegance of this country house, with its advantageous location, and with the wide extent of the shore. On both sides of the road leading there you have a varied view; sometimes the road is narrowed by forests, sometimes it opens up and spreads out into wide meadows. Here you can see herds of sheep, horses and oxen, who are driven from the mountains by winter and become fat and smooth through fresh pasture and spring warmth. - Staying here in winter is very pleasant, but even more so in summer." etc. So at that time there was no nasty summer air in this area like there is today.

A mile away from Fusano there are all sorts of crumbling walls, which are thought to be the ruins of that country house; but who can surmise in these shapeless ruins the former loveliness of a friendly resting place for a wise man? and yet the gentle memory of the noble man who distinguished himself through his cleverness and gentleness during Trajan's persecution of Christians clings to these rough ruins.

From where did such terrible, such annihilating destruction come over the flourishing life that reigned here? The invasion of the Goths in the sixth century of the Christian era destroyed the valuable water conduits; new devastation was added by the Vandals in the ninth century; they established themselves in Ostia and reached the gates of Rome, but were soon forced to withdraw again. Then what the barbarians left behind the Tiber covered with its mud over the course of twelve hundred years. This mud has advanced so far into the sea that the old port was three miles further inland than today's port, which is rather insignificant.

Is this the space, asks the historian, where the monuments of abundance, the scenes of lustful, sensual over-refinement and indulgence stood out? All those works of wealth and power adorned with the triumphs of art have now fallen into the deepest desolation! A severe judgment has come upon the insatiable ravagers of the world, who did not allow any people to enjoy their peaceful existence; the retributive fate has taken a crushing hold on them, a fate that allows the happiest injustices, the most successful crimes, to reach only a certain point of perfection: and now the curse pronounced on the most outrageous people will no longer depart from this soil!

Herds of buffalo are now encamped in the swampy depressions where the pleasure gardens of Roman great men once rustled in flowery valleys. No human being can for a long time breathe unpunished in the space where the voice of the wildest lust and the loudest, boldest arrogance once rang out. The friend of poets, the Aeneid in his hand, can hardly recognize from the imperishable features of the surrounding nature the places over which Virgil lets his Trojan refugees walk. The stranger stands there questioning; but silent and desolate the vast desert stretches out before him. Here the warning nemesis should lead a modern conqueror so that he can learn to recognize the invisible hand that can bring down the highest level of happiness so deeply.


[jthb - 6-May-2024; English translation by Jan Theo Bakker; the original is offered by the Bayerische Staatsbibliothek]